1. Zahlen, Daten, Fakten der Studie
Jetzt sind es schon 35 Jahre, die ich in der Schule verbringe. Mehr als die Hälfte davon als Lehrerin. Und nicht selten frage ich mich, ob das noch der richtige Ort für mich ist.
Laut dem kürzlich erschienenen Forschungsbericht „The role of individual differences in environmental sensitivity in teachers´ stress and burnout at work“ (Michael Pluess et al.) befinde ich mich dabei in guter Gesellschaft.
Dies ist die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen Hochsensitivität, Stress, Schulklima und Burnout im Lehrberuf untersucht hat.
Auch wenn diese (Onlineumfrage, Selbstauskunft) auf einer Stichprobe von 198 Italienischlehrern (März-April 2023, Durchschnittsalter 44, 94% weiblich, 38% Grundschule, 27% Sekundarschule, 64% unbefristete Vertrag) basiert, kann ich die Ergebnisse aus meiner Sicht (Deutschland, 49 Jahre, weiblich, Gymnasium, verbeamtet) nur bestätigen.
In der Forschungsarbeit wird erfasst, dass die Anzahl der Hochsensitiven (=Hochsensiblen, erhöht Neuro-Sensitiven) in der Schule höher ist als der Anteil in der Gesamtbevölkerung. Für mich ist das eine Bestätigung meiner Wahrnehmung. Sensitive neigen dazu, Berufe zu wählen, die ihrem Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit, Fürsorge und Wachstum entgegenkommen.
Lehrer (m = w) gehören ebenfalls zu der Berufsgruppe, die laut Studie aufgrund der hohen täglichen Anforderungen am stärksten Stress ausgesetzt sind und das höchste Burnout-Risiko haben. Es wird geschätzt, dass etwa 30-40% der Lehrer Burnout gefährdet sind.
Ich kann mir vorstellen, dass die Zahl noch weitaus höher liegt. Meiner Einschätzung nach neigen hochsensitive Lehrer dazu, sich Schwäche nicht eingestehen zu wollen. Sie haben einen hohen gleichzeitig ungesunden Arbeitsethos und wollen selbst im Krankheitsfall ihrer Verantwortung nachkommen, das heißt, sie stehen häufig krank vor der Klasse, wenn die Stunden notwendig für die Vorbereitung von Klassenarbeiten sind. Das schlechte Gewissen, dass jemand für sie den Unterricht vertreten muss, lindern sie, indem sie die Stunden trotz allem vorbereiten. Mein Mann sagte häufig kopfschüttelnd zu mir, dass ich selbst noch angeschossen zur Arbeit gehen würde.
Paradoxerweise führt das sichere Beamtensystem, das sie im Krankheitsfall versorgt, dazu, dass sie sich weit über ihre Kräfte verausgaben. Gerade junge Lehrkräfte trauen sich nicht, nach Unterstützung zu fragen. Die Verbeamtung ist schließlich abhängig von der psychischen und physischen Belastbarkeit.
Ich nehme die Schule als einen Ort wahr, in dem zwar alle stöhnen, aber kaum die eigene Überforderung eingestanden wird.
2. Stressfaktoren für Lehrer
Laut der Studie resultiert Lehrer-Burnout aus zweierlei Aspekten:
1. aus unbewältigtem Stress und
2. aus einem als ungünstig wahrgenommenem Arbeitsklima
Genauer heißt das:
immer höhere und vielfältigere Anforderungen im Laufe des Arbeitstages, dazu gehören auch administrative und bürokratische Aufgaben, der Zeitdruck, der Umgang mit unmotivierten und undisziplinierten Schülern, die wenig optimalen äußeren Bedingungen, überfüllte Klassenräume, hohe Kontrolle von außen, fehlende Unterstützung durch Schulleitung, Kollegium, Eltern…
Ich ergänze aus meiner 20-jährigen Erfahrung:
✔️ permanente Interaktion und Aufmerksamkeit, manchmal bis zu 30 Schüleredürfnisse gleichzeitig wahrzunehmen und schnelle Entscheidungen fällen zu müssen
✔️heterogene Gruppen, aber ein one-fits-all-Curriculum
✔️permanente Diskussionen über unzeitgemäßen Unterrichtsstoff und Leistungsüberprüfungen
✔️Einzelkämpfertum statt Feedbackkultur
✔️keine Rückzugsorte
✔️veraltete Schulgebäude ohne Schallschutz, der für den hohen Lärmpegel gerade im Kunst-, Musik-, Sportunterricht dringend nötig wäre
✔️nonstop Unterricht, keine Pausen ohne Gespräche, Aufgaben, Konfliktlösungen, Raumwechsel, Standortwechsel
✔️Kontrolle statt Vertrauen der Schulleitung, keine angemessene Fehlerkultur
✔️Zusatzämter, Konferenzen, spontaner Vertretungsunterrichtseinsatz
✔️Zunahme der psychophysischen Erschöpfung im Laufe des Schultages
✔️kein gefühlter Feierabend, weil auch das Zuhause Teil des Arbeitsplatzes ist
✔️ständige geforderte Erreichbarkeit / Bereitschaft
✔️Korrekturen, Unterrichtsvorbereitung, Verwaltung, Dokumentation
✔️Elterngespräche & Mails, Mails, Mail
✔️Konfrontation mit negativen Bewertungen zur Lehrerrolle
Bild aus Text: wortwolken.com
Teil 3: Kosten